RÜSTRINGER HEIMATBUND e. V.

 

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Ziegenhaltung gegen die wirtschaftliche Not

Um die Ziegen ging es einmal beim heimatkundlichen Klönabend des Rüstringer Heimatbundes. Welche Rolle sie aber in früheren Zeiten in den Marschenländern spielte ist noch nicht geklärt, denn größere Bedeutung scheint sie erst zu Beginn des vorigen Jahrhunderts erlangt zu haben. Zu diesem Ergebnis jedenfalls kam Hans-Rudolf Mengers in seinem Vortrag.

Als nämlich um 1790 der oldenburgische Kanzleirat Christen Georg Alers die Landwirtschaft im Butjadinger- und Stadland beschrieb, befasste er sich zwar eingehend mit Pferden, Kühen, Schweinen und Schafen, die Ziegen dagegen fanden keine Erwähnung. Mag sein, dass der Mangel an geeignetem Laubfutter dabei eine Rolle spielte, vielleicht waren es auch einfach die überlieferten wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse, die der Ziegenhaltung in den Marschenländern entgegenstanden.

Dabei galt die Ziege zu allen Zeiten als die „Kuh des armen Mannes“. Wer für eine Kuh weder ausreichend Stall noch Weide hatte, war mit wenigen Ziegen in der Lage, die Grundversorgung der Familie mit Milch und Fleisch zu sichern, denn die Ziege zeichnet sich durch große Genügsamkeit und gute Futterverwertung aus. Noch heute ist sie aus diesem Grunde insbesondere in regenarmen Gebieten der Erde für Teile der Erdbevölkerung die einzige Existenzgrundlage.

Ähnliche Einsichten mochte wohl auch die Regierung in Oldenburg bewogen haben, als sie 1876 in ihrem „Pfandungsgesetz“ für das Herzogtum Oldenburg festlegte, dass eine Milchkuh oder statt dessen zwei Ziegen oder zwei Schafe mit der zum Unterhalt auf zwei Wochen erforderlichen Menge Futter nicht pfändbar sind. Das galt allerdings nur, wenn davon der Lebensunterhalt bestritten wurde.

In jener Zeit ist bei der Ziegenhaltung in hiesiger Gegend ein bedeutender Aufschwung zu verzeichnen. Eine Viehzählung im Jahre 1883 ergab für Stollhamm 49 dieser Tiere, zehn Jahre darauf waren es bereits 119. Allerdings wurde längst nicht jede Ziege zur Milchgewinnung gehalten. Mochte es Aberglaube oder auch erwiesen sein, man sprach den Ziegen die Fähigkeit zu, stimmte Krankheiten abzuwehren. In größeren Rindviehbeständen galt die Ziege (oder der Bock) im Stall daher auch als „Gesundheitspolizei“. Wurde dagegen die Ziege krank, so war Gefahr im Verzuge und der Bauer musste auf der Hut sein.

Im Gegensatz zu anderen Haustieren setzte bei der Ziege die Rassenbildung erst spät ein. Die Haltung von Einzeltieren oder kleinen Beständen hatte zur Entstehung einer großen Anzahl lokaler Schläge geführt. Erst am Ende des 19. Jahrhunderts begann man mit der planmäßigen Rassenzucht. In Oldenburg ist ein Gesetz für die Einführung einer Ziegenbockkörung erst 1906 in Kraft getreten.

Inzwischen allerdings hatten sich die Kleinviehhalter längst eigene Gedanken um das gewünschte Zuchtziel gemacht. Im Ammerland war der Westersteder Ziegenzuchtverein mit der Einkreuzung der Schweizer Saanenziege hervorgetreten. Einen Ableger aus dieser Zucht, die sich durch hohe Milchleistung auszeichnete, erwarb 1895 auch D. Quadhammer aus Stick bei Tossens, um ihn dann zum Decken der Ziegen zu empfehlen. Die Butjadinger Zeitung schrieb dazu. „Es ist mit Freuden zu begrüßen, daß jetzt auch für diese Gegend etwas zur Förderung der Zucht unserer so nützlichen Haustiere gethan wird.“

Ausgerechnet die Gründung der Molkereien, die selbst natürlich keine Ziegenmilch annahmen, sollte um die Jahrhundertwende der Ziegenhaltung weiteren Auftrieb verleihen. Wie aus einem weiteren Artikel derselben Zeitung aus dem Jahre 1903 hervorgeht, wurde nämlich die Beschaffung von Süßmilch für viele „kleine Leute“ zum Problem, „da die Milchlieferanten trotz hoher Preise kleine Quantitäten nur ungern abgeben. Es wird dazu auch noch als ein Akt der Gefälligkeit aufgefaßt.“ Eine solche Behandlung verlangte geradezu nach Selbsthilfe.

In der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts war die Ziegenhaltung in Butjadingen durchaus ein wichtiger Faktor bei der Grundversorgung der Menschen in den wirtschaftlich schweren Zeiten. Der steigende Wohlstand danach hatte vielfach die Aufgabe der Kleintierhaltung zur Folge. Dieser Entwicklung fielen auch die Ziegenbestände zum Opfer. Heute ist die Ziegenhaltung allerdings landesweit wieder auf dem Vormarsch – aus gesundheitlichen Gründen.

Hans-Rudolf Mengers

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