RÜSTRINGER HEIMATBUND e. V.

 

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Bauerschaften gründeten eigene Klippschulen

Über die Geschichte der Schulen im Oldenburger Land berichtete Harald Künnemann aus Süllwarden einmal beim heimatkundlichen Klönabend des Rüstringer Heimatbundes. Zeitlich spannte er einen weiten Bogen vom 16. bis zum 20. Jahrhundert.

Am Anfang des Schulwesens stand nach Aussage Künnemanns die Reformation. Der damalige Landesherr, Graf Anton, trat 1529 zum lutherischen Glauben über und führte die evangelische Kirche ein. Ihm kam es dabei wohl weniger auf die Reformation der kirchlichen Lehre an, als vielmehr auf die damit verbundene Möglichkeit, Kirchengut zu erwerben. Darin ging er recht schonungslos vor: Kurzerhand ließ große Teile des Kirchenvermögens einfach beschlagnahmen. Die Einkünfte flossen nun in die gräflichen Kassen.

Um die Organisation allerdings machte er sich weniger Gedanken. Erst sein Sohn, Graf Johann, versuchte, die Verhältnisse zu ordnen. Dazu berief er den Theologen Hermann Hamelmann nach Oldenburg, der dann ab 1574 die Landeskirche organisierte. Dazu gehörte auch die Gründung des Volksschulwesens, denn die Bevölkerung sollte im Stande sein, Luthers Bibel lesen zu können.

Bis dahin war es übrigens nur wenigen Menschen vergönnt gewesen, das Lesen und Schreiben zu erlernen. Vor Hamelmanns Reformen bestanden in der ganzen Grafschaft nur vier Lateinschulen, eine davon seit 1569 in Tossens und eine weitere seit 1570 in Stollhamm. Diese Schulen wurden von einem Küster geleitet und dienten wohl in erster Linie der Vorbereitung auf ein anschließendes Studium.

Durch die Bestrebungen Hamelmanns kam es bald zur Gründung von zahlreichen Volksschulen in den Kirchdörfern, z.B. in Burhave im Jahre 1593. Hier entstand gleich hinter der Kirche das erste Schulhaus. Weitere Schulen folgten in Esenshamm (1593), Blexen (1595), Langwarden (1597), Atens (1605) und Abbehausen (1606). Diese genannten Kirchdorfschulen standen unter der Aufsicht und Obhut der Kirche. Der Unterricht wurde vom Pastor und vom Küster gehalten.

Aber auch die kleinen Dörfer und Bauerschaften wollten am Fortschritt teilhaben. Da der Weg ins Kirchdorf häufig zu weit war, schlossen Bauerschaften sich zu Schulachten zusammen und gründeten eigene Schulen. Diese „Klippschulen“ wurden dann auch von den Bauerschaften unterhalten. Sie „bezahlten“ sogar den Lehrer selber. Gab es in solch einer kleinen Schulacht kein eigenes Schulhaus, dann zogen Lehrer und Schüler reihum von Haus zu Haus. In dem Haus, in dem gerade unterrichtet wurde, bekam der Lehrer auch sein Mittagessen.

Die Lehrer der Klippschulen hatten noch keine pädagogische Ausbildung und stammten aus den verschiedensten Berufen. Voraussetzung war lediglich, dass sie lesen, schreiben und auch etwas rechnen konnten. Das letztere war bei vielen aber noch längst nicht selbstverständlich. Es ist z.B. überliefert, dass die Handarbeitslehrerin aus Großfedderwarden zwar hervorragenden Unterricht in ihrem Fach erteilte, aber des Lesens und Schreibens nicht kundig war, so dass sie als Unterschrift drei Kreuze setzen musste.

Von den meisten Lehrern jener Zeit wird ihr Fleiß und ihre Treue gerühmt. Sie führten einen christlichen Lebenswandel, waren ehrerbietig gegen den Pastoren und lehrten den Katechismus mit Fleiß. Die Einnahmen für den Schulhalter bestanden aus Geld und Naturalien, die die Eltern der Kinder zu entrichten hatten. Gelegentlich hatte er aber auch den Gewinn aus der Bewirtschaftung eines Stückchen Landes sowie freie Wohnung im Schulhaus.

Der Naturallohn bestand aus Milch, Butter, Käse, Getreide, Torf zum Heizen usw. Allerdings bereitete es immer wieder große Mühe, diese Abgaben, auf die die Schulmeister dringend angewiesen waren, auch tatsächlich zu erhalten. „Die Leute drücken sich wo sie nur können; Jan Meyer schuldet alles an Butter und Käse“, lautete die Klage des Schulhalters in einem Visitationsbericht der Kirchengemeinde Stollhamm.

Sehr eingehend beschrieb Harald Künnemann auch die unterrichtliche Situation an einer einklassigen Volksschule zu Beginn des 20. Jahrhunderts.

Da war zunächst die Schulstube: An beiden Seiten eines Durchganges standen Bänke mit Sitzplätzen für sechs Kinder. 60 bis 80 Schulkinder in solch einer Schulstube, aufgeteilt in Unter- und Oberklasse, waren durchaus üblich. In die Tische der Schüler waren Vertiefungen für die Tintenfässer eingelassen. Am Kopfende stand das Lehrerpult auf einem Podest. Hier wurde auch stets eine Flasche Tinte zum Nachfüllen bereitgehalten.

Im Winter wurde der Raum durch einen großen, eisernen Ofen geheizt, meistens mit Torf als Heizmaterial. Im Ofen befand sich ein Wärmefach für die Schulkinder, die mittags in der Schulstube blieben und dort ihr mitgebrachtes Essen aufwärmten. Im Winter ging der Unterricht bis nachmittags vier Uhr und die Kinder, die weit entfernt wohnten, blieben während der einstündigen Mittagspause natürlich dort. Im Sommer an heißen Tagen stand auf dem Flur ein Eimer mit Wasser aus der Pumpe. Darin schwamm ein Metallbecher, den alle benutzten.

Die Lehrer einklassiger Schulen führten die Dienstbezeichnung „Hauptlehrer“, die Leiter mehrgliedriger Schulen den Titel „Rektor“. Sie wurden zum Ärger der Hauptlehrer auch besser bezahlt. Diese waren nämlich der Meinung, sie hätten die bessere Bezahlung verdient, denn ihre Arbeit sei wesentlich schwieriger. In der Tat musste der Lehrer einer einklassigen Schule ein wahrer Meister seines Faches sein, sollte er doch das gleiche Ziel erreichen wie die mehrgliedrige Schule.

Die erste Stunde an jedem Tag hieß „Religion“. In der zweiten Stunde war Rechnen. Dazu diente das Rechenbuch von „Munderloh u. Kröger“. Dieses Buch enthielt den gesamten Lehrstoff, verteilt auf acht Jahrgänge. Eingehend beschäftigte sich der Lehrer mit den ABCSchützen, denen er an Hand einer großen Rechenmaschine die Zahlenbegriffe sowie das Zu und Abzählen bis einhundert beibrachte. Das schriftliche Rechnen fand auf der Schiefertafel statt.

Für den Deutsch und Leseunterricht gab es drei Bücher. Für die ABCSchüler gab es die Fibel, für das 2. bis 4. Schuljahr den „Jugendfreund“ und für die Oberstufe das „Oldenburgische Lesebuch der evangelischen Volksschulen“. Hier fanden sich auch die vielen Gedichte, die auswendig gelernt werden mussten, darunter auch Schillers Glocke. So hatten die Schüler am Schluss der Schulzeit einen großen Schatz von Gedichten im Kopf. In der Oberstufe kam noch das Realienbuch hinzu. Es enthielt Stoffe aus der Geschichte, Erdkunde und den Naturwissenschaften.

Im ersten Schuljahr wurden nur Tafel und Griffel benutzt. Vom zweiten Jahr an kam die Stahlfeder mit Federhalter dazu. Diese Feder war an der Spitze gespalten. Man konnte mit ihr dünn und dick schreiben. Damals musste man noch zwei verschiedene Buchstabenarten erlernen, die deutsche und die lateinische Schrift. Die deutsche Schrift galt damals als feiner und erforderte mehr Sorgfalt.

Das Turnen kannte man nur im Sommer im Freien und bei gutem Wetter. Es bestand hauptsächlich aus Ballspielen, Wettlauf oder Weitsprung. Auch der Gesang wurde nach besten Kräften gepflegt. Der Unterricht im Singen fand an schönen Sommertagen immer im Freien statt unter den großen Bäumen auf dem Schulplatz, wusste Harald Künnemann zu berichten.

Höhepunkt eines Schuljahres war der große Schulausflug. Das Ziel des Ausflugs war in der Regel ein Gasthof mit einem Sommergarten und Spielgeräten in nicht allzu großer Ferne. Man fuhr mit Pferd und Wagen, die von den Bauern zur Verfügung gestellt wurden. Mit dabei waren immer auch die Eltern der Schulkinder. Am Tage zuvor wurden die Wagen schön mit Blumen und bunten Bändern festlich geschmückt. Man vergnügte sich mit Spielen, Belustigungen, Gesang und Vorträgen und oft gab es auch kleine Preise. 

Hans-Rudolf Mengers

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