RÜSTRINGER HEIMATBUND e. V.

 

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Molkereibutter wurde oft mit Margarine verwechselt

Als kleiner Junge fuhr Theodor Köhne bei seinem Vater auf dem Milchwagen mit und seither interessiert ihn alles, was mit Molkerei zu tun hat. So war es ihm eine große Freude, die Unterlagen der ehemaligen Molkerei Ruhwarden einsehen und auswerten zu können. Über dieses interessantes Kapitel aus der Wirtschaftsgeschichte Butjadingens berichtete der Blexer beim heimatkundlichen Klönabend des Rüstringer Heimatbundes.

Bis zur Einrichtung der Molkereien wurde die Milchverarbeitung allein auf den Höfen betrieben. Das bedeutete, die jeweils anfallende Milch, die nicht direkt in den Verzehr gelangte, wurde zu Butter verarbeitet. Theodor Köhne schildert das althergebrachte Verfahren: Die Milch wurde in Baljen oder Setten hingestellt, bis sie ganz dick und sauer war, und dann abgerahmt. Den Rahm ließ man dann oft noch mehrere Tage stehen, bis so viel zusammen war, dass er im Stoßfass gekarnt werden konnte. Nach Köhnes Erkundigungen und selbst gemachten Erfahrungen benötigte man bei diesem Verfahren etwa 20 Liter Vollmilch zu einem Pfund Butter.

Die Butter wurde meistens den ab Fedderwardersiel nach Bremen fahrenden Butterschiffern zum Verkauf mitgegeben, später auch wohl von Händlern auf dem Hof aufgekauft. Im Winter gab es überhaupt wenig Butter, oftmals in größeren Haushaltungen nicht einmal genug für den Eigenverbrauch. Es wurde deshalb in Butjadingen viel Schmalz verwendet. Auch eingepökelte Butter, sogenannte Stoppelbutter, die im Spätsommer gewonnen worden war, half über den Winter hinweg.

Die Erfindung der Zentrifuge revolutionierte die Milchverarbeitung, weil es jetzt möglich war, das Fett schneller und gründlicher aus der Milch zu gewinnen. So entstand eine vollständige Umwälzung in der Milchwirtschaft. In Dänemark, Schweden, aber auch in Deutschland, vor allem Holstein, bildeten sich genossenschaftliche Vereine, die nun in größerem Stil die Verarbeitung der Milch und die Verwertung Butter organisierten.

Gelegentlich einer Zusammenkunft Nordbutjadinger Bauern wurde diese Sache zur Sprache gebracht, und man kam überein, einen solchen Versuch auch hier zu wagen. Das war der Anfang der Gründung der Ersten Butjadinger MolkereiGenossenschaft im Frühling 1885 in Ruhwarden. Am Anfang waren es nur 14 Genossen, die sich dieser Herausforderung stellten. Und sie hatten es zunächst schwer, weil selbst ihre Berufskollegen sich über die Unternehmung belustigten und sogar ihren Spott trieben, wie es in einer Chronik aus dem Jahre 1913 heißt.

Für viele war es undenkbar, dass die nach dem neuen Verfahren aus süßem Rahm hergestellte Butter überhaupt Abnehmer finden würde. Jedenfalls war diese sogenannte Molkereibutter dem Publikum noch unbekannt und musste erst am Markt eingeführt werden. Selbst in Bremen wollte man sie nicht recht kaufen. Nur Hamburg hatte bereits einen beständigen Markt, denn von hier aus ging sie meistens in den Export nach England. Oft wurde Molkereibutter sogar mit Margarine verwechselt, die zu der Zeit auch aufkam.

Die Gründungsmitglieder aber ließen sich nicht entmutigen und packten die Sache mit Ernst und Eifer an. Ein eigens angekauftes Haus wurde umgebaut und für den Molkereibetrieb eingerichtet. Bereits am Ende des Jahres 1885 konnte der Betrieb aufgenommen werden. Am ersten Tag, so verzeichnet die Chronik wurden 900 Liter Milch angeliefert. Da bis dahin lediglich ein Verwalter eingestellt war, halfen die Genossen zunächst alle tüchtig mit.

Im ersten kompletten Geschäftsjahr 1886 betrug die Anlieferung knapp 800.000 Liter Milch. Neue Lieferanten waren bereits hinzugekommen und auch ein zweiter Wagen für die Anfuhr der Milch musste gestellt werden. Bei sparsamer Wirtschaft war am Ende des Jahres sogar ein kleiner Überschuss von 1300 Mark erzielt worden. Das Unternehmen kam langsam in Fahrt, und im gleichen Maße wurden Zweifler leiser in ihrer Kritik.

1885 hatte die erste Butjadinger Molkereigenossenschaft in Ruhwarden ihren Betrieb aufgenommen. In kurzer Zeit entwickelte sie sich aus kleinsten Anfängen heraus zu einem gesunden, florierenden Unternehmen. Kein Wunder, dass man dabei ständig an die Grenzen der technischen oder räumlichen Kapazitäten stieß. Ständig musste erweitert und erneuert werden. Aber dieses alles geschah auch mit Augenmaß und Weitblick.

In den zwanzig Jahren bis 1905 vervierfachte sich die Milchanlieferung. Zunehmend machte sich nun ein Problem mit dem Abwasser bemerkbar. Am Anfang hatte man es einfach in den nächsten Graben eingeleitet, nun aber gab es immer wieder Ärger mit der Nachbarschaft wegen der zuweilen unerträglichen Geruchsbelästigung. Eine zunächst installierte Rohrleitung und selbst der Bau einer Klärgrube 1909 brachten keine Besserung. Erst Jahrzehnte später, 1954, konnte mit dem Bau einer Druckleitung, die direkt durch den Deich geführt wurde, nachhaltig Abhilfe geschaffen werden.

Den guten Ruf, den sich die Molkerei mit ihrer Butter bis dahin erworben hatte, erhielt 1928 noch eine Steigerung, als auf der ersten Fahrt des Luftschiffes „Graf Zeppelin“ nach Amerika Markenbutter aus Ruhwarden mitgeführt wurde. Diese Tatsache wurde in den Oldenburger Tageszeitungen und in den Fachblättern in ganz Deutschlands erwähnt. Das war eine vorzügliche Werbung. Noch fünf Jahre nach dieser Zeppelinfahrt gelangte eine Butterbestellung mit folgender Adresse nach Ruhwarden: „An die Molkerei in Butjadingen, die s. Zt. für Zeppelin lieferte“.

Nach den ständigen Betriebsverbesserungen und Neuanschaffungen entsprachen die älteren Gebäudeteile nicht mehr den modernen Anforderungen. Im Jahre 1934 wurde der Beschluss zu einem großzügigen Umbau mit entsprechenden maschinellen Neuanschaffungen und Betriebsumstellungen gefasst. So entstand in der darauf folgenden Zeit ein stattlicher Klinkerbau, „eine Zierde für das Dorf Ruhwarden, ein Baudenkmal für den Norden Butjadingens“, wie es in einem Bericht heißt.

Zu den Neuanschaffungen gehörte auch die Kannenrollbahn, die die Kannen mit der Vollmilch selbsttätig von der Rampe zur Waage transportierte. Die moderne Neigungswaage zeigte in wenigen Sekunden automatisch das Gewicht an. Auf dem Rückweg hingen die entleerten Kannen mit der Öffnung nach unten, so dass sie auslecken konnten. Diese scheinbar wenigen Tropfen wurden aufgefangen und ergaben an einem Tage bis zu 80 Liter Vollmilch, die vorher der Molkerei verloren gegangen waren.

In der Kriegs- und Nachkriegszeit ging die Milchanlieferung verständlicherweise stark zurück, da es auch auf den Bauernhöfen an vielem mangelte. Den tiefsten Stand erreichte sie im Jahr 1948 mit einer Menge von nur gut 3,6 Millionen Litern, der aber mit dem einsetzenden Aufschwung und der Normalisierung der allgemeinen Verhältnisse bald wieder überwunden wurde.

Nur von kurzer Dauer war der Versuch, mit neuen Produkten ins Geschäft zu kommen, als man im Jahr 1949 beschloss, Buttermilchbrei, Himbeermilch, HimbeerJoghurt, Schokoladentrunk und Eiskrem in das Programm aufzunehmen. Während die Milchprodukte in Bremen abgesetzt wurden, sollte das „Eis am Stiel“ in der Umgebung seine Abnehmer finden. Aber bald merkte man, dass Herstellung und Vertrieb zu hohe Kosten verursachten. Die Produktlinie wurde schon im Jahr 1950 wieder eingestellt. Die angeschafften Maschinen konnten in den Folgejahren nach und nach verkauft werden, so dass sich der Verlust in Grenzen hielt.

Trotz weiterer Investitionen in die Produktionsanlagen wuchs der Druck, Kosten einzusparen, um am Markt bestehen zu können. Rationalisierungen ließen sich aber nur in einem vertretbaren Maße durchführen. Viele kleine Molkereien sahen deshalb in den 80er Jahren ihre Zukunft im Zusammenschluss. So erging es auch den Butjadinger Molkereien. 1987 fusionierte die „Erste Butjadinger Molkereigenossenschaft Ruhwarden“ mit der Burhaver Molkerei, um kurz darauf ihren Betrieb ganz einzustellen.

Die Geschichte dieser für die Landwirtschaft so segensreichen Einrichtung fand damit nach fast 103 Jahren ihr
Ende.

Hans-Rudolf Mengers

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