Heinrich Schütte, Senior der Marschenforschung
Rastlos mit seinem wichtigsten Instrument, dem so genannten Marschenlöffel, durch die Gegend ziehend, so ist Heinrich Schütte vielen Menschen in dieser Gegend in Erinnerung geblieben. Wie kaum ein anderer hat er mit seinem Wirken die Erforschung der Marschen zu Beginn des vorigen Jahrhunderts beeinflusst. Dr. Heinrich Neuhaus, ehemaliger Mitarbeiter der Marschenversuchsanstalt Infeld, hat sich mit dem Leben und Wirken Schüttes beschäftigt und berichtete darüber beim heimatkundlichen Klönabend des Rüstringer Heimatbundes.
Schütte wurde 28. Dezember 1863 in Oldenbrok geboren. Sein Vater war dort Lehrer, wurde aber bereits 1865 nach Mundahn bei Eckwarden versetzt, wo Heinrich Schütte als einziger Junge unter sieben Schwestern aufwuchs. Nach dem frühen Tod des Vaters (1871), kam Heinrich zu seinem Onkel Diedrich Schütte, der in Javenloch (heute Friedrich-Augusten-Groden) Lehrer war. Er war ein guter Kenner der Pflanzen- und Tierwelt in Watt und Groden und sein Neffe lernte hier, dass man durch exaktes Beobachten der Natur und der Umwelt viele Dinge erkennen und verstehen kann.
Auch Heinrich Schütte strebte den Lehrerberuf an. Nach dem Abschluss der Schule besucht er von 1878 bis 1882 das Seminar in Oldenburg. Als Junglehrer zog es ihn dann wieder zur Küste. Die Friesische Wehde, Eckwarden, Hartwarden, Brake und Elsfleth waren seine Stationen, bevor er in Bremen die Prüfung als Mittelschullehrer bestand. Nach einem Studienaufenthalt in Schottland unterrichtete er anschließend in Bremerhaven um dann 1901 einem Ruf als Lehrer an der Oberrealschule in Oldenburg zu folgen. 1910 übernahm er die Knaben-Mittelschule in Oldenburg als Rektor.
Neben seiner Lehrtätigkeit fand er immer auch Zeit für naturkundliche Studien. Ab 1901 aber begann er mit der systematischen Erforschung der Marschen, ihrer Tiere und Pflanzen und der Beschaffenheit und der Schichtung des Bodens. Das nötige Rüstzeug dafür erarbeitete er sich bei verschiedenen Studienaufenthalten auf Helgoland und in den Niederlanden. Von dort brachte er auch den so genannten Marschenlöffel mit, ein seltsames Bohrgerät, mit dem er den Boden in seiner Tiefe erforschen wollte.
Es war Schwerstarbeit für diesen kleinen und schmächtigen Mann, den Bohrer bis in neun Meter Tiefe hineinzudrücken, um so 18 je einen halben Meter lange Bohrkerne zu gewinnen. Erst bei noch größerer Tiefe bediente er sich des Einsatzes zweier Helfer. Bis zu 1200 Bohrungen soll er so im Laufe der Zeit niedergebracht haben. Immer wieder stellte er bei diesen Aufschlüssen eine Schichtung des Bodens fest: in mehrmaliger Abfolge überlagerten sich Klei- und Moorschichten. Diese Erkenntnis brachte ihn auf seine Theorie von der Küstensenkung.
Mehrmals im Laufe der Zeit, so seine Annahme, habe sich der Boden gesenkt. Dann habe er vom Meer überflutet werden können, was die Kleiablagerungen zur Folge hatte. Anschließend habe sich das ganze Küstengebiet wieder gehoben. Nun hörte die Überflutungstätigkeit allmählich auf und in der Folge bildete sich in den Gebieten mit Staunässe das Moor. Auch als er auf den Oberahneschen Feldern in etwa eineinhalb Meter unter der vom Meer abgetragenen Oberfläche Spuren von Bodenbearbeitung entdeckte, deutete er diese als Pflugfurchen und sah sich damit wieder einmal in seiner Theorie bestätigt.
1908 erfolgte die erste Veröffentlichung über die Küstensenkung – und Schütte erntete damit schwere Kritik. Aber er bekam auch Unterstützung, zunächst von niederländischen Forschern, dann aber auch von namhaften deutschen Wissenschaftlern. Diese Diskussionen hatten auch zur Folge, dass man sich nun verstärkt in den Kreisen der Wissenschaft um die Erforschung der Küstenregion bemühte.
1932 wurde Heinrich Schütte in Anerkennung seiner Verdienste von der Universität Hamburg die Ehrendoktorwürde verliehen. 1935 erschien als Zusammenfassung seiner Lebensarbeit das zweibändige Buch „Das Alluvium des Jade-Weser-Gebietes", im März 1939 sein wohl bekanntestes Werk „Sinkendes Land an der Nordsee?" Noch im selben Jahr ist er an den Folgen eines schweren Verkehrsunfalls gestorben.
Wenn sich später auch herausgestellte, dass nicht das Land sich senkt oder hebt, sondern periodische Veränderungen des Meeresspiegels vorliegen, tut dass den Erkenntnissen Schüttes im Grunde keinen Abbruch, weil damit im Grunde dieselben Erscheinungen hervorgerufen werden. So ist es durchaus gerechtfertigt, Heinrich Schütte auch heute noch als den Senior der Marschenforschung anzusehen.
Hans-Rudolf Mengers
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