RÜSTRINGER HEIMATBUND e. V.

 

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Heimische Handwerker errichteten die neue Molkerei

Sein Interesse an allem, was mit Molkereien zu tun hat, beruht auf den Erfahrungen aus seiner Kindheit. Der Vater war Milchfuhrmann und Theodor Köhne durfte ihn auf diesen Touren gelegentlich begleiten. So war es ihm eine große Freude, als er vor einiger Zeit die Akten Molkereien Ruhwarden und Burhave in die Hände bekam.

Mit großem Fleiß machte er sich dann an die Auswertung der wertvollen Unterlagen und berichtete darüber in mehreren Veranstaltungen beim heimatkundlichen Klönabend des Rüstringer Heimatbundes einem interessierten Publikum über dieses inzwischen abgeschlossene Kapitel Butjadinger Wirtschaftsgeschichte. Nach den Vorträgen über die Ruhwarder Mokerei wandte Theodor Köhne sich der Geschichte der Burhaver Molkerei zu.

Nach der Gründung der ersten Molkereien in der Wesermarsch in Strückhausen und Ruhwarden (1885), regte sich auch in anderen Gemeinden der Wunsch nach gemeinsamer Verarbeitung und Vermarktung der Milch. Allerdings war die Sache nicht unumstritten, denn viele Bauern befürchteten, dass bei der Verfütterung von ZentrifugenMagermilch die Gesundheit seiner Kälber gefährde sei – ein Satz, der in jenen Tagen durch die Lande ging.

Nach vielen Vorgesprächen und Auseinandersetzungen über das Für und Wider, wurde im Winter 1887/88 von mehreren Interessenten das Projekt, auch in Burhave endlich eine Molkerei zu gründen, vorangetrieben. Am 18. Januar 1888 war es schließlich so weit. An den Beratungen im „Butjadinger Hof“, der damals „Bögers Gasthaus“ hieß, nahmen 14 Interessenten teil, die ausnahmslos ihren Beitritt erklärten. Das anschließende Gründungsprotokoll trug bereits die Namen von 21 Mitgliedern.

Der erste Vorstand bildete sich aus Emil Lewenstein, der Direktor und Geschäftsführer wurde, und Theodor Bruncken, den die Genossen zum Stellvertreter wählten. Zum Aufsichtsrat gehörten Heinrich Kähler, Wilhelm Bruncken und Wilhelm Francksen, der auch den Vorsitz übernahm.

Zu den ersten Aufgaben der neuen Führungsspitze gehörte es, sich um einen geeigneten Bauplatz zu kümmern. Dabei fiel die Wahl auf ein Gelände in der Nähe der Hollwarder Chaussee, den Michael Gutmann „in beliebiger Größe“ angeboten hatte. Wenn auch für damalige Verhältnisse ein stolzer Preis dafür verlangt wurde, so entschied sich der Vorstand doch für dieses Angebot, weil der Platz an günstiger Stelle lag. Bezüglich des Molkereibetriebes kam man überein, eine dänische Zentrifuge der Firma Ahlhorn zu erwerben und auch das Molkereigebäude nach den Plänen dieses Unternehmens errichten zu lassen.

Bei der Schlussabrechnung ergab sich für Gebäude und Anlagen ein Gesamtpreis von 35.000 Mark. Die meisten Bauarbeiten waren übrigens von den Burhaver Unternehmern Mauermeister Gerdes und Zimmermeister Cyriakel erledigt worden. Bereits am 8. November 1888 konnte in der neuen Molkerei die Arbeit aufgenommen werden. Die Anlieferungsmenge betrug an diesem ersten Tag 800 Liter

Nach anfänglichen Turbulenzen über die Bezahlung der Milch kehrte bald Ruhe ein und die Entwicklung nahm einen erfreulichen Verlauf. Bereits 1890 erreichte die Anlieferungsmenge fast eine Million Liter Rohmilch, aus der 66.369 Pfund Butter gewonnen wurden. Sie war von feinster Qualität und erhielt bei einer Ausstellung in Oldenburg sogar eine Auszeichnung. Um ein Pfund Butter zu gewinnen, wurden jetzt nur noch 14,66 Liter Milch benötigt, gegenüber etwa 20 Liter beim Karnverfahren. Die Vorbehalte, die viele Landwirte noch geltend machen wollten, schwanden zusehends und die Zahl der Genossen stieg rasch an.

Bei der Milchverarbeitung wurde während der heißen Jahreszeit immer Eis zu Kühlungszwecken benötigt. Dazu musste in jedem Winter von den Genossen Eis angeliefert werden, um es dann im Eiskeller auf Vorrat zu legen. Allerdings machte der milde Winter 1897/98 den Molkereileuten einen dicken Strich durch die Rechnung. Weit und breit war kein Eis zu bekommen, so dass nur die Möglichkeit blieb, eine Eis- und Kühlmaschine anzuschaffen. Sie wurde für 8000 Mark kurzfristig aus Chemnitz in Sachsen bezogen und war noch lange ohne jeden Tadel im Einsatz.

Zunächst erfolgte der Antrieb der Maschinen mit einer Dampfmaschine. Aber schon bald nach der Jahrhundertwende kam die elektrische Energie ins Gespräch. Doch das öffentliche Interesse an dieser neuen Energie blieb zunächst gering. Erst als auch die Ortsgenossenschaft sich bereit erklärte, ihre Straßenlampen auf elektrischen Strom umzustellen und dann noch 40 Einwohner sich mit etwa 300 Glühlampen beteiligen wollten, schien das Wagnis tragbar. Am 15. Dezember 1905 beschloss die Generalversammlung den Bau eines eigenen Elektrizitätswerkes für 19500 Mark – einstimmig in Gegenwart von 123 Genossen.

Das eigene E-Werk brauchte nur einige Jahre Dienst zu tun, denn schon 1913 erfolgte der Anschluss an das Leitungsnetz des Kraftwerkes in Wiesmoor. Nun wurde es möglich, die Dampfmaschine zu entlasten und dafür zwei Elektromotoren einzusetzen. Das kam auch den Nachbarn entgegen, die sich immer wieder über die Rauchbelästigung beschwert hatten. Das Elektrizitätswerk wurde immerhin noch recht günstig verkauft, es ging für 5000 Mark nach Brettdorf. Die Motoren wurden von der Firma des 1880 in Fedderwardersiel geborenen Johannes Bruncken aus Köln geliefert.

Schon bald nach der 25-Jahr Feier im Herbst 1913 bei der man bei Tanz und gemütlicher Unterhaltung ein paar Stunden fröhlich zu verweilte, begann der 1. Weltkrieg, der auch für den Molkereibetrieb Erschwernisse mit sich brachte. Nicht nur der einsetzende Mangel an Personal machte sich nachteilig bemerkbar, sondern auch zunehmender Materialmangel führte immer wieder zu Engpässen. Inzwischen waren die Futtermittelpreise so gestiegen, dass die Fuhrlöhne der Molkerei nicht mehr mithalten konnten. Man sah sich schließlich gezwungen, bei den Behörden um Haferzuteilung für die Milchwagenpferde nachzusuchen. Das Getreide wurde dann nach Bedarf und nach Länge der Tour verteilt.

Wie viele andere hatte die Genossenschaft im „Vaterländischen Interesse“ in erheblichem Umfang Kriegsanleihen gezeichnet. Dazu hieß es 1919 im Geschäftsbericht: „Die im Besitz der Molkerei befindlichen 300.000 Mark Kriegsanleihen sind zum derzeitigen Kurs von 92 % in die Bilanz eingestellt. Der sich danach ergebende Minderwert von 18.000 Mark ist durch Heranziehung des Reservefonds und der Betriebsrücklage ausgeglichen worden.“ Genau ein Jahr später folgte der Beschluß, die ganzen 300.000 Mark Kriegsanleihe bestmöglichst zu verkaufen. Ob sich dafür ein Liebhaber fand, verraten die Akten allerdings nicht.

Auch während der Inflationszeit gab es wieder Haferzuteilungen. Die Geldentwertung trieb im Herbst des Jahres 1923 seltsame Blüten. Der Milchpreis erreichte die Spitze im September 1923 als der Liter über 13 Milliarden Mark kostete. Schließlich gab es für die gelieferte Milch so riesige Geldbündel, dass mancher Genosse mit dem Wagen vorgefahren kam, um sein Milchgeld abzuholen, wie Theodor Köhne berichtete.

Für die gesamte Kriegszeit von 1939 bis 1945 gab es trotz der Schwierigkeiten bei der Beschaffung der Betriebsmittel keinen Rückgang bei der Milchablieferunge. Sicher haben dabei die Aufrufe, auch in der Heimat die Pflicht zu tun und den tapferen Soldaten nachzueifern, ihre Wirkung gehabt. Durch den Einsatz von Zwangsarbeitern und Kriegsgefangenen, auch durch die gelegentliche Freistellung von Wehrmachtsangehörigen wurde jedenfalls ein Zusammenbruch der Arbeitswirtschaft verhindert.

Engpässe gab es erst in der Nachkriegszeit, weil die fremden Arbeitskräfte in ihre Heimat zurückkehrten, bevor die deutschen Soldaten entlassen wurden. Mit dem Kriegsende setzte dann auch nahezu schlagartig ein dramatischer Rückgang der Ablieferungsmengen ein, denn es entwickelte sich eine „Fettwährung“, die die Butter zu einem begehrten Tauschobjekt machte. Und diese Butter stammte aus Eigenproduktion. Es wurde also wieder abgerahmt und gekarnt wie in alten Zeiten – natürlich außerhalb der Legalität.

Mit der neuen Währung normalisierten sich aber die Verhältnisse. Bereits nach wenigen Jahren erreichte man wieder die alte Anlieferungsmenge und 1971 kam man erstmals auf über 10 Millionen Liter. Aber der Strukturwandel in der Landwirtschaft zeichneten sich in den nächsten Jahren auch im Molkereiwesen ab: während die Mitgliederzahl stetig sank, erhöhten sich gleichzeitig die Anlieferungsmengen. 1982 brachten es die 109 verbliebenen Lieferanten auf eine Menge von 19,6 Mio. kg und im folgenden Jahr wurde die 20 Mio überschritten.

Während noch die betrieblichen Investitionen weiter gingen, um der steigenden Milchmenge Herr zu werden, begannen nun aber auch Überlegungen hinsichtlich möglicher oder erforderlicher Fusionen unter den Molkereien. Fiel es auch zunächst manchem Genossen schwer, das einzusehen, so war es letztlich doch eine Überlebensfrage. Nach dem Vorbild vieler ähnlich großer Betriebe beschlossen auch die Burhaver und Ruhwarder Mitglieder in außerordentlichen Generalversammlungen 1987 die Verschmelzung.

Damit endete genau im 100. Jahr ihres Bestehens die Selbstständigkeit dieses so bedeutsamen und segensreichen Burhaver Wirtschaftsbetriebes.

Hans-Rudolf Mengers

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