RÜSTRINGER HEIMATBUND e. V.

 

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Geschichte eines Bauernhofes endet in der Parzellierung

Höfe haben ihre Geschichte. Über Jahrhunderte hinweg lässt sich ihre Entwicklung verfolgen und immer spiegeln sich darin auch die allgemeinen Zustände des Landes und die Verhältnisse der Bewirtschafter wider. Ein interessantes Beispiel zeigte dazu Ewald Janßen aus Rodenkirchen auf, der beim heimatkundlichen Klönabend des Rüstringer Heimatbundes über den Lübben-Hof in Absen bei Rodenkirchen berichtetete.

Die Reihe der Besitzer konnte Ewald Janßen bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts zurückverfolgen. Damals war die gut 40 ha große Landstelle im Besitz des Hermann Diedrich Harksen. Nach seinem Tode verkauften die Erben die Landstelle an Jacob Cornelius Tantzen. Als der 1862 nach zwei Ehen kinderlos verstarb, erbte den Hof seine Nichte Caroline Friederike Töllner, geborene Tantzen.

Die Stelle wurde nun verpachtet, da die Erbin auf dem Hof ihres Ehemannes in der Gemeinde Esenshamm lebte. Trotzdem ließ sie 1865 auf ihrer ererbten Besitzung ein neues Gebäude errichten. Dafür wählte man ein neues Grundstück an der damals gerade fertig gestellten Chaussee, der heutigen Bundesstraße. Die alten Gebäude waren aber keineswegs baufällig. Sie wurden verkauft und dienen immer noch zu Wohnzwecken.

Weil hier in der Wesermarsch im Erbfalle das sogenannte „Jüngstenrecht“ Anwendung findet, fiel der Hof 1890 nach dem Tode von Caroline Friederike Töllner an das jüngste Kind der Familie, die 1856 geborenen Caroline Theodore Töllner. Sie war inzwischen mit Hinrich Gerhard Wulff aus Schwei verheiratet. Die beiden waren auch die letzten Eigentümer, die den Hof selber bewirtschaftet haben. Nach dem Tode des Ehemannes (1924) war das Anwesen bis zum endgültigen Verkauf im Jahre 1993 verpachtet.

Caroline Wulff überlebte ihren Mann um zehn Jahre. In die Erbfolge trat nun die Tochter Bertha Wilhelmine Pauline Wulff, seit 1911 verheiratet mit Dr. Heinrich Gerhard Lübben. Ihr Ehemann war übrigens Studienrat und Zoologe und wurde bekannt als der Gründer der Tiergrotten in Bremerhaven. Er war auch der Verfasser der „Geschichte der Familie Lübben aus Stadland und Butjadingen“.

In ihre Zeit fiel auch das schwere Brandunglück, bei dem das ganze Anwesen ein Raub der Flammen wurde. Mit diesem Brandunglück und dem anschließenden Wiederaufbau befasste sich Ewald Janßen besonders eingehend.

Kurz nach Ende des II. Weltkrieges, am 31. Juli 1945, brannte das ganze Haus mit allen Anbauten ab. Besitzerin war die inzwischen verwitwete Bertha Lübben. Da alle vorhandenen Futtervorräte verbrannt waren, musste das Vieh im Winter zu Nachbarn, Verwandten und Bekannten gegeben werden. Nur ein paar Milchkühe konnten in der noch vorhandenen Scheune untergebracht werden. Damit blieb dem Bewirtschafter wenigstens das Milchgeld als kleine Einnahmequelle. Da auch das Wohnhaus zerstört war, wurde für die Familie auf dem Hof eine Holzbaracke als Notunterkunft aufgestellt.

Um das erste Mauerwerk aufrichten zu können, bezog man Kalk vom damals noch existierenden Wasserwerk in Elsfleth. Dieser Kalk diente in den Filteranlagen zur Klärung des Wassers und musste regelmäßig, wenn er eine gelblich-braune Farbe angenommen hatte, erneuert werden. Transportiert werden konnte der Kalk nur in einem dichten Trog auf gummibereiften Wagen, damit er durch das Rütteln nicht zu flüssig wurde und unterwegs schon verloren ging.

Um nun an Zement zu kommen, war ein heute kaum vorstellbarer Weg nötig. Zunächst wurde eine größere Menge Heu, das bei dem geringen Viehbestand auf dem Hof ja reichlich vorhanden war, mit der Eisenbahn zu einem Bergwerk bei Ibbenbühren transportiert. Damit konnten die Pferde, die „unter Tage“ die Kohlenwagen zogen, mit Futter versorgt werden. Für das Heu gab es Kohlen. Die kamen zu einem in der Nähe gelegenen Zementwerk, damit auch dort die Produktion laufen konnte. Durch dieses Dreiecksgeschäft erhielt man hier den so dringend benötigten Zement.

Aus den umgestürzten Mauern mussten die guten Steine herausgesucht und wieder sauber gemacht werden. Für 100 Steine gab es eine Reichsmark. Je nachdem wie fest der alte Mörtel auf den Steinen saß, konnte ein Mann 600 bis 800 Steine pro Tag säubern und stapeln. Das war allerdings harte Arbeit und die dafür benutzten Steinbeile waren jeden Abend stumpf und mussten vom Schmied wieder neu ausgeschmiedet und geschärft werden.

Der ganze Neubau wurde damals noch in Handarbeit ausgeführt. Zupfleger trugen Mörtel und Steine auf der Schulter zu den Maurern auf dem Gerüst. Große Maschinen waren noch nicht vorhanden. Selbst das Ständer und Rähmwerk wurde mittels Richtstangen in Handarbeit aufgestellt. Lediglich bei der Herstellung der Betondecke des Wirtschaftsgebäudes kam eine Mischmaschine zum Einsatz.

Mittlerweile waren zwei Jahre vergangen und es war wieder möglich, Steine von den Ziegeleien zu kaufen. So bekam die Außenmauerschicht ein neues Ansehen. Für das Dach wurden Zementziegel genommen, nachdem in Hankhausen bei Rastede eine Ziegelei die Produktion aufgenommen hatte. Dachziegel aus Ton waren noch Mangelware und kaum bezahlbar.

Um den Neubau wieder mit Elektrizität versorgen zu können, ist Berta Lübben selbst mit dem Fahrrad nach Wilhelmshaven gefahren und hat dort aus noch vorhandenen Beständen der ehemaligen Kriegsmarine auf dem Tauschwege Kabel besorgt, die vorher auf den Schiffen Verwendung fanden. Diese Kabel haben noch lange ihre Aufgabe erfüllt.

Der damalige Landrat Dr. Ernst Martens äußerte sich bei einem Besuch an der Unglücksstelle zuversichtlich, der Neubau könne in sechs Wochen wieder stehen. Aber er sollte sich gründlich verrechnet haben: Durch die damaligen wirtschaftlichen Schwierigkeiten dauerte die Fertigstellung nämlich fünf Jahre. Erst 1950 war das ganze Gebäude wieder versichert.

Als im Jahre 1972 Frau Bertha Lübben starb, wurde ihr Sohn Burchard Eigentümer. Er war lange Zeit in russischer Kriegsgefangenschaft gewesen und kam erst 1953 wieder nach Hause. Dr. Burchard Lübben lebte bis 1981. Als in jener Zeit dringend Bauland benötigt wurde, gingen auch Teile dieser Hofstelle in den Verkauf. 1993 kaufte die Gemeinde Rodenkirchen weitere Flächen westlich der Bundesstraße mit dem Hausgrundstück an. Damit war eine Bewirtschaftung nun nicht mehr möglich.

Und so endete schließlich die Geschichte dieses Hofes, nachdem er Jahrhunderte lang Generationen von Bauernfamilien Heimat und Lebensgrundlage gewesen war.

Hans-Rudolf Mengers

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