Die Schedelsche Weltchronik – ein Werk der Superlative
Bücher haben ihre eigene Geschichte, das machte der Archivar des Rüstringer Heimatbundes, Wolfgang Engelhardt, deutlich, als er einmal beim heimatkundlichen Klönabend über einen interessanten Neuzugang in „seinem“ Archiv berichtete. Die „Schedelsche Chronik“, ein berühmtes Geschichtsbuch des ausgehenden 15. Jahrhunderts, begeistert auch heute noch die Bücherfreunde in aller Welt.
Nach der Gutenberg-Bibel kennzeichnet die Weltchronik des Hartmann Schedel eines der größten Buchunternehmungen der beginnenden Neuzeit. Sie war beim Erscheinen 1493 geradezu sensationell und man sprach davon nur in Superlativen: Mit seinen 1809 Holzschnitten war es lange Zeit das bilderreichste Werk des Buchdruckes im gesamten Abendland. Die Verbindung von Text und Bild setzte neue Maßstäbe in der Drucktechnik und von vielen Orten finden sich hier die ältesten Ansichten. So stehen für viele Liebhaber dieses Werkes auch nicht mehr die Texte im Vordergrund, sondern die meisterhaften Holzschnitte, an denen vermutlich auch Albrecht Dürer beteiligt war.
Es ist ein ausgesprochener Glücksfall, dass alle wichtigen Unterlagen über das Projekt wie Druckvorlagen, Bildskizzen, die Entwürfe der Holzschnitte und auch die abgeschlossenen Verträge erhalten geblieben sind. So kann heute noch bis in die Einzelheiten die Entstehungsgeschichte dieses Werkes nachvollzogen werden.
Die Idee zu solch einem gewaltigen Unternehmen stammte von dem Nürnberger Arzt Hartmann Schedel, der selber Besitzer einer umfangreichen Bibliothek war. Da er genügend Einfluss besaß, gelang es ihm, Drucker, Zeichner, Maler und Gelehrte zu finden, die allesamt zu den hervorragendsten Fachleuten ihrer Zeit gehörten. Alle Beteiligten verpflichten sich zu größter Geheimhaltung und die verpflichteten Künstler wurden für Raubdrucke sogar persönlich haftbar gemacht. Übrigens galt Nürnberg damals als das europäische Zentrum der noch neuen Buchdruckerkunst.
So entstand ein Geschichtsbuch, das die Entwicklung der Welt von der Schöpfung an aufzeigt. Natürlich orientierte es sich an der Vorstellung des mittelalterlichen Weltbildes: Noch ist die Erde eine Scheibe mit den drei Erdteilen Europa, Asien und Afrika. Das neue Land im Westen, Amerika, war zwar soeben entdeckt worden, aber die Nachricht davon hatte sich bis Nürnberg noch nicht herumgesprochen.
Die Weltgeschichte fußt auf der christlichen Lehre, und wie die Schöpfung in sieben Tagen abläuft, so verläuft auch die Geschichte in sieben großen Abschnitten. Das 1. Weltalter beschreibt das Paradies, das 2. den Bau der Arche Noah. Das nächste beginnt mit Abraham und endet mit König Saul. Das 4. Weltalter umfasst die Geschichte des Königs David bis zur Zerstörung Jerusalems. Hier wird auch die Geschichte des römischen Reiches behandelt. Die folgende Zeit geht bis zur Enthauptung Johannes des Täufers, und auch die Feldzüge Alexanders des Großen werden eingehend beschrieben. Das 6. Weltalter führt bis zum Ende des 15. Jahrhunderts, der Gegenwart Schedels. Und schließlich verweist das 7. Weltalter auf das Ende der Welt.
Verkauft wurden in erster Linie nicht kolorierte Exemplare und zwar sowohl in deutscher als auch in lateinischer Sprache. Ferner konnte die Chronik in gebundener Form oder in losen Blättern bezogen werden. Das stolze Werk hatte aber auch seinen Preis: Für ein nicht koloriertes, nicht gebundenes Exemplar musste man 2 Gulden bezahlen, für ein koloriertes gebundenes 6 Gulden. 1496 bezahlte man in London 66 Schilling 8 Pence dafür, soviel wie für 5 ½ Schlachtochsen! Heute wird für ein gut erhaltenes Original bis zu 40.000 € und mehr gezahlt.
Durch günstige Umstände konnte der Rüstringer Heimatbund Nachdrucke einer nichtkolorierten lateinischen und einer kolorierten deutschen Ausgabe erwerben. Beide Bände stehen in ihrer Qualität den Originalen kaum nach und gelten bezüglich ihrer hervorragenden Ausstattung immer noch als Meisterstücke der Buchherstellung.
Hans-Rudolf Mengers
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