RÜSTRINGER HEIMATBUND e. V.

 

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Das Schlittschuhlaufen mit dem Lehnstuhl gelernt

Noch heute erinnert sich Meinhard Wefer mit Freuden an seine Jugendzeit in Burhave, wenn im Winter die Gräben zugefroren waren und zum Eislaufen einluden. Eistouren, Schnelllaufwettbewerbe oder Hockeyspielen gehörten damals zu den alljährlichen winterlichen Vergnügungen. Meinhard Wefer, der heute in Bockhorn lebte, berichtete kürzlich darüber beim heimatkundlichen Klönabend des Rüstringer Heimatbundes.

Zunächst aber hieß es für den Jungen, sich in Geduld zu üben, denn in der Zeit nach dem Kriege war es für die Eltern gar nicht einfach, Schlittschuhe aufzutreiben. So behalf er sich zunächst mit ein paar „Prickel“, die ihm sein Vater gebastelt hatte. Das waren Holzstäbe mit einer Nagelspitze am unteren Ende, mit denen man sich, auf einem Schlitten liegend oder sitzend, abstoßen konnte. „Schon darüber war ich überglücklich“, sagte Meinhard Mefer, „ich erlangte im Umgang damit große Fertigkeit und konnte erstaunlich schnell fahren.“

Noch größer war etwas später die Freude über die ersten richtigen Schlittschuhe. Es waren sogenannte Hackenreißer. Sie hatten ihren Namen daher, weil zur Befestigung eine Klemmbacke von hinten in den Hackenabsatz geschraubt werden musste, der bei starker Beanspruchung gelegentlich auch mal abriss. Dass diese Schlittschuhe schon gebraucht waren, störte den Jungen damals keineswegs.

Nun standen ihm alle Möglichkeiten des winterlichen Vergnügens offen, aber zuvor musste er das Schlittschuhlaufen erst erlernen. „Das war gar nicht so einfach“, weiß sich Meinhard Wefer zu erinnern, „und es ging nicht ohne Tränen und blaue Flecke ab.“ Hilfreich beim Üben sei schließlich ein Lehnstuhl gewesen, den man auf einem Schlitten festgebunden hatte.

Zum Eislaufen ging es dann auf die zugefrorenen Gräben und Sieltiefe. Für die größeren Jungen waren solche Eistouren bei hoher Geschwindigkeit ein besonderes Vergnügen. Dabei ließen sie die Kleineren und auch wohl die Mädchen meistens weit hinter sich und kamen dann in Gegenden, die sie im Sommer nie kennen lernen würden.

Noch heute schwärmt Meinhard Wefer von diesen herrlichen Eistouren durch die Butjadinger Heimat, weitab von lärmenden Straßen und Dörfern. Gelegentlich hätten sie dann auch schon mal eine Zigarette geraucht und seien auf die Idee gekommen, trockenes Ufergras und Reith anzuzünden. Bei diesen Aktionen sei es gut gewesen, möglichst wenig Zeugen zu haben.

Die Mädchen, so erinnert sich Meinhard Wefer, blieben lieber im Dorf oder doch in der Nähe. Sie versuchten sich gerne schon mal im Eiskunstlauf und übten einfache Figuren. Dazu brauchte man viel Platz, der auf den schmalen Gräben ohnehin nicht vorhanden war. Oft mussten sie aber auch auf die kleineren Geschwister aufpassen und konnten auch deshalb schon keine weiten Touren unternehmen.

Wenn die Verhältnisse es irgend zuließen, trafen sich die Jungen auch zum Hockeyspielen auf der Graft oder der Kuhle bei der Pastorei. Das Organisieren war kein Problem: Mannschaften wurden zusammengestellt, das Spielfeld abgegrenzt und mit ein paar Dingen die Tore gebildet. Dann konnte der „Kampf“ beginnen. Die Schläger waren natürlich selbstgefertigt aus hartem, elastischem Holz mit einem abgewinkelten Ende, zum Beispiel vom Haselnussstrauch. Als Puck diente eine kleine Milchbüchse und als Kopfschutz eine dicke Pudelmütze. Obwohl es häufig auch rau zuging, waren ernsthafte Verletzungen doch recht selten.

Ein ganz besonderes Vergnügen muss es für die Burhaver Jugend gewesen sein, als Anfang der 50er Jahre der Schulleiter Johann Baake für die oberen Klassen eine Eisfahrt in die Nähe des Klosters Blankenburg organisierte. Riesige Flächen an der Hunte waren damals überschwemmt und anschließend gefroren. Unzählige Menschen nutzen die Gelegenheit und tummelten sich dort auf dem Eis. Es sei für die Teilnehmer ein einmaliges Erlebnis gewesen, sagte Meinhard Wefer, nur leider habe er noch nicht dabei sein dürfen.

Um bei der Jagd auch ausgedehnte Eisflächen schnell und sicher überwinden zu können, haben sich Menschen bereits in grauer Vorzeit spezieller Hilfsmittel bedient. In Frankreich fand man Rinderknochen, die so abgeschliffen waren, als hätten sie zum Gleiten auf dem Eis gedient. Ihr Alter schätzte man auf etwas 20.000 Jahre. Sicher als Schlittschuhe identifizierte Funde gibt es aus der Jungsteinzeit um 3000 v. Chr.

Man bearbeitete damals vorzugsweise die Mittelfußknochen großer Tiere und band sie mit Darmseiten, Sehnen oder Lederriemen unter die Schuhe. Auch der Name Eisbein, heute ehe als „Schweinshaxe“ für ein deftiges Essen bekannt, deutet auf die Verwendung als Schlittschuh hin. Der Mittelfußknochen vom Schwein eignete sich als Kufe besonders gut, weil er sehr fetthaltig ist und deshalb kaum Wasser aufnimmt. Wurde er zusätzlich noch gewachst, so verhinderte man sicher ein Vereisen.

Dagegen ist der Name „Schlittschuhe“ noch sehr jung. Das Wort, das sich erst im 19. Jahrhundert im Hochdeutschen durchsetzte, ist vom „Schlitten“ abgeleitet, was wiederum mit „schliddern“ und „glitschen“ zu tun hat. Das ältere Wort für die Eislaufgeräte war „Schrittschuh“, das hatte mit der Fortbewegung zu tun, dem Schreiten. In Butjadingen sagte man auf Plattdeutsch „Strietschoh“, und dieser Ausdruck ist bei den Älteren auch heute noch geläufig.

Was dem Butjenter seine „Strietschoh“, das waren dem Ostfriesen seine „Schöfel“. Sie zeichneten sich durch eine besonders flache Bauweise aus Holz mit Eisenkufen aus, die weit über die Sohlenlänge hinausgingen. Weil sie den holländischen Schlittschuhen ähnelten, nannte man sie auch Holländer. Sie eigneten sich aufgrund ihrer Bauweise am besten zum Schnelllaufen und Eiswandern.

Überhaupt gilt Holland mit seinem Reichtum an geeigneten Eisflächen als Mutterland des Eislaufs und hatte hierin lange eine führende Position. Bereits im 12. Jahrhundert waren dort die Holz-Eisen-Schlittschuhe sehr verbreitet. Später erhielten die Kufen einen Hohlschliff und den nach oben gekrümmten hohen Schnabel. Diese Schlittschuhe kennen wir denn auch von zahlreichen Winterbildern niederländischer Künstler des 17. Jahrhunderts.

Die Herstellung der Holzschlittschuhe blieb bis ins 20. Jahrhundert hinein in der Hand von örtlichen Handwerkern. Meist waren es die Schmiede, die in Zusammenarbeit mit einem Tischler und einem Schuster die Geräte anfertigte. In Ostfriesland hatten sich zahlreiche Grobschmiede, die sonst für die Landwirtschaft arbeiteten, in den langen Wintermonaten auf den Bau von Schlittschuhen spezialisiert. Mindestens 80 solcher Betriebe zählte man zwischen 1850 und 1950.

Die große Kunst, zugleich auch immer als Betriebsgeheimnis streng gehütet, war die Herstellung der Kufen durch spezielles Schmieden, Härten und Schleifen. Zu besonderer Bekanntheit gelangte hierin der Meister Kord Hans Schmidt (1793 – 1856) in dem kleinen Ort Breinermoor bei Leer. Die Kufen bestanden zu ¾ aus Schmiedeeisen, im Bereich der Lauffläche aber aus englischem Hartstahl. Die sogenannten „Breinermörker Schöfel“ mit seinen Initialen K.H.S. galten lange Zeit als Spitzenprodukte auf dem Markt.

Im Laufe des 18. Jahrhunderts entwickelte sich das Schlittschuhlaufen nicht nur zum Freizeitvergnügen der breiten Masse, sondern fand zunehmend auch die Beachtung durch die gehobenen Schichten. Einen nicht unerheblichen Anteil hatten daran auch die großen deutschen Dichter jener Epoche. F.G. Klopstock hat sich sehr dafür eingesetzt und kein geringerer als J.W. von Goethe gilt als großer Bewunderer des Eiskunstlaufs: „Fürwahr, diese Kraftäußerung verdiente … empfohlen zu werden, die uns mit der frischesten Kindheit in Berührung setzt, den Jüngling seine Gelenkigkeit ganz zu genießen aufruft und ein stockendes Alter abzuwehren geeignet.“

Verständlich, dass er da schon ungeduldig auf die nächste Eiszeit wartet: „Wann wirst du wiederkommen, wohlthätiger Winter, die Wasser befestigen, daß wir unsern Schlittschuhtanz wieder anfangen.“

Hans-Rudolf Mengers

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